Denglisch und Anglizismen
Hallo Leser,
in letzter Zeit stoße ich immer wieder auf erbitterte Diskussionen und reißerische Schriften zum "Niedergang der deutschen Sprache". Ein besonders heftiges Interview mit der Sängerin Edda Moser, veröffentlicht von der FAZ, hat mich angeregt meine Meinung hierzu zu veröffentlichen.
Derzeit hat, wie man unschwer feststellen kann, die Sprache Englisch einen großen Einfluss aufs Deutsche. Die Oberschicht spricht meist fließend Englisch, und Englische Begriffe bürgern sich teils unbemerkt in die deutsche Sprache ein. Diese Entwicklung ist, verglichen mit dem Alter der deutschen Sprache (laut Wikipedia ca. 2100 Jahre) relativ neu, ich schätze, das die ersten englischen Begriffe vor ca. 15-20 Jahren begannen einzufließen.
Viele, oft ältere, Menschen kritisieren dies aufs schärfste, verwenden aber selbst, meist ohne es zu bemerken, sehr sehr oft Begriffe, die selbst nicht ur-deutsch sind, sondern auch eingeschleppt wurden.
Vor dem 10 Jahrhundert hatten die Römer, und damit die lateinische Sprache großen Einfluss. So stammt z.B. das heutige "Fenster" vom lateinischen "fenetre" und u.a. die Medizin hat dazu geführt, das sich noch mehr ursprünglich lateinische Begriffe im deutschen eingenistet haben.
Begriffe aus der Finanzwirtschaft, wie Brutto, Netto, Bank und Risiko stammen aus dem italienischen und wurden zwischen 1350 und 1650, während der Phase des Frühneuhochdeutschen eingeschleppt. Sie kommen uns vollkommen Deutsch vor. Begründet liegt dies darin, das Italien zu dieser Zeit Finanzwirtschaftlich weltweit überlegen war und darum die Einflüsse nach überall, auch nach Deutschland, abgestrahlt wurden. Später dehnte sich dies auf die Musik ab, so haben sehr viele Instrumentennamen und Bezeichnungen für Musikstücke, oder Abschnitte aus Musikstücken italienische Herkunft. Als Beispiel sei zu nennen: Cello, Violine, Allegro, Andante, Bratsche usw usf.
Während und vor der französischen Revolution, waren die französischen Könighäuser für viele Adels-und-Königsfamilien deutscher Herkunft kulturelles Vorbild. Französisch galt als Modesprache und unglaublich viele Begriffe aus dem französischen fanden Einzug ins Deutsche. Als Beispiel sei zu nennen: Ball, Ballett, Promenade, Kompott, Kotelett, Marmelade, Portemonee, Frisur, Garderobe, Kostüm, Armee, Leutnant, Offizier.
Selbst unter Deutschen sprach man in der Oberschicht meist Französisch. Es galt als schick.
Diese Entwicklung ist jetzt auch zu beobachten. Deutsche Top-Manager fordern teilweise, wenn auch (noch) vereinzelt, das Interviews in Englsch gehalten werden, auch wenn der Interview-Partner der deutschen Sprache mächtig ist. Und wer schonmal einen Business-Analysten oder PR-Agent über seine Arbeit hat reden hören, der wird nicht mehr genau differenzieren können, ob er jetzt mehr deutsch, oder mehr Englisch spricht.
Die Vergangenheit zeigt also, das die Vielfalt der deutschen Sprache, das Klangbild der deutschen Sprache immer geprägt war und geprägt ist durch äußere Einflüsse. Manche sind älter, manche Einflüsse entstehen gerade erst. Allerdings lässt sich, außer z.b. bei Wein, vom Alter einer Sache oder Gewohnheit äußerst selten auf den Wert schließen.
Es ist also ein Zeichen von großer Konservativität (und ich verwende dieses Wort hier in einem äußerst negativen Kontext), wenn man die Anglifizierung der deutschen Sprache kritisiert, aber gleichzeitig seinen Gesprächspartner bittet das Fenster zu öffnen und ein paar Stunden später sein Portmonee zückt um auf der Bank einen Kontoauszug zu ziehen um herauszufinden wieviel Netto vom Brutto man diesen Monat hat.
Für viele, als deutsch angesehene Wörter, gibt es gar keine deutsche Entsprechung. Trotzdem versuche ich oben beschriebenen Satz einmal in Ur-Deutsch zu übersetzen.
...aber gleichzeitig seinen Gesprächs[...] bittet das Windloch zu öffnen um ein paar Stunden später seinen Geldbeutel zu zücken um einen [...]auszug zu ziehen um herauszufinden wieviel Sauber vom Dreckig man diesen [...] hat.
Ich vermute mal, das ich mindestens die Hälfte aller nicht-deutschen Begriffe in meinem Beispielsatz vergessen habe.
Liebe Anglizismen-Feinde: Euer einziges Argument ist, das der englische Einfluss noch nicht so alt ist, wie der französische, italienische oder lateinische Einfluss. Aber ihr selbst verwendet ständig Wörter, die aus dem Einfluss anderer Sprachen stammen. Das kann doch nicht euer ernst sein?
Keine Sprache ist "besser" als eine andere. Und das Alter oder das Fortbestehen eines fremdsprachigen Einflusses einer anderen, natürlich gleichwertigen, Sprache kann nicht wirklich ein Argument sein.
Bye
Aegre Reminiscens
edit:
Ergänzung: Sängerin Edda Moser lässt ihre Gesangsschüler für jedes "okay" 1€ Strafe bezahlen. Weil "okay" laut ihr einer der schrecklichsten Anglizismen ist, die es gibt.
Sie ist im Irrtum. Okay stammt von "en quai" (französisch) und heisst übersetzt "auf dem Kai [Uferbefestigung für Schiffe zum Anlegen]". Dies ist eine Kurzform von "Die Ladung des Schiffes ist entladen und auf dem Kai"
in letzter Zeit stoße ich immer wieder auf erbitterte Diskussionen und reißerische Schriften zum "Niedergang der deutschen Sprache". Ein besonders heftiges Interview mit der Sängerin Edda Moser, veröffentlicht von der FAZ, hat mich angeregt meine Meinung hierzu zu veröffentlichen.
Derzeit hat, wie man unschwer feststellen kann, die Sprache Englisch einen großen Einfluss aufs Deutsche. Die Oberschicht spricht meist fließend Englisch, und Englische Begriffe bürgern sich teils unbemerkt in die deutsche Sprache ein. Diese Entwicklung ist, verglichen mit dem Alter der deutschen Sprache (laut Wikipedia ca. 2100 Jahre) relativ neu, ich schätze, das die ersten englischen Begriffe vor ca. 15-20 Jahren begannen einzufließen.
Viele, oft ältere, Menschen kritisieren dies aufs schärfste, verwenden aber selbst, meist ohne es zu bemerken, sehr sehr oft Begriffe, die selbst nicht ur-deutsch sind, sondern auch eingeschleppt wurden.
Vor dem 10 Jahrhundert hatten die Römer, und damit die lateinische Sprache großen Einfluss. So stammt z.B. das heutige "Fenster" vom lateinischen "fenetre" und u.a. die Medizin hat dazu geführt, das sich noch mehr ursprünglich lateinische Begriffe im deutschen eingenistet haben.
Begriffe aus der Finanzwirtschaft, wie Brutto, Netto, Bank und Risiko stammen aus dem italienischen und wurden zwischen 1350 und 1650, während der Phase des Frühneuhochdeutschen eingeschleppt. Sie kommen uns vollkommen Deutsch vor. Begründet liegt dies darin, das Italien zu dieser Zeit Finanzwirtschaftlich weltweit überlegen war und darum die Einflüsse nach überall, auch nach Deutschland, abgestrahlt wurden. Später dehnte sich dies auf die Musik ab, so haben sehr viele Instrumentennamen und Bezeichnungen für Musikstücke, oder Abschnitte aus Musikstücken italienische Herkunft. Als Beispiel sei zu nennen: Cello, Violine, Allegro, Andante, Bratsche usw usf.
Während und vor der französischen Revolution, waren die französischen Könighäuser für viele Adels-und-Königsfamilien deutscher Herkunft kulturelles Vorbild. Französisch galt als Modesprache und unglaublich viele Begriffe aus dem französischen fanden Einzug ins Deutsche. Als Beispiel sei zu nennen: Ball, Ballett, Promenade, Kompott, Kotelett, Marmelade, Portemonee, Frisur, Garderobe, Kostüm, Armee, Leutnant, Offizier.
Selbst unter Deutschen sprach man in der Oberschicht meist Französisch. Es galt als schick.
Diese Entwicklung ist jetzt auch zu beobachten. Deutsche Top-Manager fordern teilweise, wenn auch (noch) vereinzelt, das Interviews in Englsch gehalten werden, auch wenn der Interview-Partner der deutschen Sprache mächtig ist. Und wer schonmal einen Business-Analysten oder PR-Agent über seine Arbeit hat reden hören, der wird nicht mehr genau differenzieren können, ob er jetzt mehr deutsch, oder mehr Englisch spricht.
Die Vergangenheit zeigt also, das die Vielfalt der deutschen Sprache, das Klangbild der deutschen Sprache immer geprägt war und geprägt ist durch äußere Einflüsse. Manche sind älter, manche Einflüsse entstehen gerade erst. Allerdings lässt sich, außer z.b. bei Wein, vom Alter einer Sache oder Gewohnheit äußerst selten auf den Wert schließen.
Es ist also ein Zeichen von großer Konservativität (und ich verwende dieses Wort hier in einem äußerst negativen Kontext), wenn man die Anglifizierung der deutschen Sprache kritisiert, aber gleichzeitig seinen Gesprächspartner bittet das Fenster zu öffnen und ein paar Stunden später sein Portmonee zückt um auf der Bank einen Kontoauszug zu ziehen um herauszufinden wieviel Netto vom Brutto man diesen Monat hat.
Für viele, als deutsch angesehene Wörter, gibt es gar keine deutsche Entsprechung. Trotzdem versuche ich oben beschriebenen Satz einmal in Ur-Deutsch zu übersetzen.
...aber gleichzeitig seinen Gesprächs[...] bittet das Windloch zu öffnen um ein paar Stunden später seinen Geldbeutel zu zücken um einen [...]auszug zu ziehen um herauszufinden wieviel Sauber vom Dreckig man diesen [...] hat.
Ich vermute mal, das ich mindestens die Hälfte aller nicht-deutschen Begriffe in meinem Beispielsatz vergessen habe.
Liebe Anglizismen-Feinde: Euer einziges Argument ist, das der englische Einfluss noch nicht so alt ist, wie der französische, italienische oder lateinische Einfluss. Aber ihr selbst verwendet ständig Wörter, die aus dem Einfluss anderer Sprachen stammen. Das kann doch nicht euer ernst sein?
Keine Sprache ist "besser" als eine andere. Und das Alter oder das Fortbestehen eines fremdsprachigen Einflusses einer anderen, natürlich gleichwertigen, Sprache kann nicht wirklich ein Argument sein.
Bye
Aegre Reminiscens
edit:
Ergänzung: Sängerin Edda Moser lässt ihre Gesangsschüler für jedes "okay" 1€ Strafe bezahlen. Weil "okay" laut ihr einer der schrecklichsten Anglizismen ist, die es gibt.
Sie ist im Irrtum. Okay stammt von "en quai" (französisch) und heisst übersetzt "auf dem Kai [Uferbefestigung für Schiffe zum Anlegen]". Dies ist eine Kurzform von "Die Ladung des Schiffes ist entladen und auf dem Kai"
Aegre Reminiscens - 25. Okt, 19:59